Unendlichkeit ist ein faszinierendes Thema. In unserer Welt gibt es nichts was unendlich ist. Selbst die Anzahl aller Atome im gesamten Universum ist endlich, auch wenn die Zahl so groß ist, dass wir uns nichts mehr darunter vorstellen können. Weil Unendlichkeit für uns Menschen nicht greifbar ist, ist es schwierig sich etwas darunter vorzustellen und noch schwieriger es zu verstehen.
In diesem Artikel wollen wir in die komplizierte und teils paradoxe Welt der Unendlichkeit eintauchen, verblüffende Eigenschaften erforschen und erklären warum unendlich nicht gleich unendlich ist.
Zunächst wollen wir klären, was Unendlichkeit überhaupt heißt. Viele Leute stellen sich unter dem Begriff der Unendlichkeit eine riesen große Zahl vor. Dieses Denken ist jedoch falsch, Unendlichkeit ist viel mehr als nur eine Zahl, Unendlichkeit ist ein Konzept.
Den meisten dürfte das mathematische Zeichen für Unendlichkeit ∞, welches 1655 von dem Engländer John Wallis eingeführt wurde, bekannt sein. In der Mathematik taucht die Unendlichkeit häufig auf. Insbesondere bei dem Umgang mit Mengen ist Unendlichkeit allgegenwertig. Betrachtet man beispielweise die positiven und ganzzahligen Zahlen, die sogenannten natu¨rlichen Zahlen N={1,2,3,4,...}
stellt man schnell fest, dass dies eine unendliche Menge seien muss. Betrachten wir nämlich eine beliebige Zahl n aus der Menge der natürlichen Zahlen, so finden wir mit n+1 immer ein Element, welches größer ist und auch in der Menge der natürlichen Zahlen liegt. Aber auch n+1 kann nicht das größte Element dieser Menge sein, denn mit (n+1)+1 finden wir wieder ein Element welches größer ist und auch in der Menge N der natürlichen Zahlen liegt. Dieses Spielchen kann man beliebig weiter führen. Man wird nie ein “letztes” Element finden. Die Menge beinhaltet daher unendlich Elemente. In der Mathematik wird die Anzahl der Elemente einer Menge als Ma¨chtigkeit bezeichnet. Um zu zeigen, dass man von der Mächtigkeit einer Menge spricht, nutzt man das Symbol ∣∣ (oder alternativ auch #). Man schreibt also:
#N=∣N∣=∞
Wir gehen nun einen Schritt weiter und betrachten zusätzlich auch noch die ganzzahligen negativen Zahlen sowie die Null. Wir erhalten die sogenannten ganzen Zahlen:
Z={...,−3,−2,−1,0,1,2,3,...}
Auf den ersten Blick scheint es klar zu sein, dass diese Menge mehr Elemente als die Menge der natürlichen Zahlen N enthalten muss. Denn die ganzen Zahlen beinhalten die natürlichen Zahlen:
Z={...,−3,−2,−1,0,=N1,2,3,...}
Jede natürliche Zahl ist auch eine ganze Zahl. Doch darüber hinaus liegen zusätzlich auch noch unendlich weitere Elemente in der Menge Z. Denn ist die Menge {1,2,3,...} unendlich, so ist es natürlich auch die Menge {−1,−2,−3,...}. Die Menge der natürlichen Zahlen ist also eine Teilmenge der ganzen Zahlen. Mathematische notiert man dies so: N⊂Z.
Man könnte also denken, dass die Mächtigkeit, also die Anzahl der Elemente, der ganzen Zahlen
∣Z∣={∞...,−3,−2,−1,10,∞1,2,3,...}=2⋅∞+1
ist. Doch was ist 2⋅∞+1? Die Antwort lautet 2⋅∞+1=∞ und mag verblüffen. Doch man muss sich von der Illusion befreien Unendlichkeit als eine unfassbar große Zahl zu betrachten, um den Begriff der Unendlichkeit zu verstehen. Für Unendlichkeit gelten andere Rechenregeln. Es gilt nämlich:
Rechenregeln für unendlich und beliebiges a∈Q: -∞+a=∞ -∞−a=∞ -∞⋅a=∞ -∞⋅∞=∞
Doch was heißt das jetzt? Haben natürliche Zahlen und ganze Zahlen genau gleich viele Elemente? Überraschenderweise ja! Dies mag im ersten Moment super unlogisch klingen, haben wir doch eben erst gezeigt, dass N⊂Z gilt und dass die Menge Z unendlich Element enthält, die nicht in N liegen. Um Licht ins Dunkel zu bringen, wollen wir uns zunächst anschauen, was es formal heißt, wenn zwei Mengen gleichviele Elemente enthalten:
Zwei Mengen A und B sind gleichmächtig, wenn es eine vollständige Paarbildung zwischen den Elementen aus A und den Elementen aus B gibt. Man schreibt ∣A∣=∣B∣.
Vollständige Paarbildung bedeutet, dass jedem Element der einen Menge genau ein Element der anderen Menge zugeordnet wird und kein Element übrig bleibt. Dies nennt man in der Mathematik eine Bijektion und ist bei endlichen Mengen relativ einleuchtend:
Ist es möglich solch eine Zuordnung zu finden, haben die Mengen gleichviele Elemente. Nun betrachten wir statt zwei endlichen Mengen A und B, die unendlichen Mengen N und Z. Wenn die Mengen, wie oben behauptet gleichmächtig sind, muss es möglich sein eine Bijektion zwischen den beiden Mengen zu konstruieren. Tatsächlich ist dies gar nicht so schwierig, man bildet folgende Zuordnung:
N
Z
1
0
2
-1
3
1
4
-2
5
2
⋮
⋮
Jedem Element aus den ganzen Zahlen Z wir durch diese Zuordnung genau einem Element aus der Menge der natürlichen Zahlen N zugeordnet. Wir können also eine Bijektion zwischen den beiden Mengen erzeugen und sie enthalten daher beide genau gleichviele Elemente.
Lasst uns nun noch eine Ebene weiter gehen. Nun betrachten wir nämlich die Menge aller positiven und negativen Brüche, die sogenannten rationalen Zahlen:
Q={nmmitm,n∈Zundn=0}
Die rationalen Zahlen beinhalten die ganzen Zahlen, die wiederum die natürlichen Zahlen enthalten. Dies ist logisch, denn jede ganze Zahl lässt sich als Bruch darstellen. Will man eine bestimmte Zahl z∈Z als Bruch schreiben, so ist dies durch 1z∈Q leicht möglich. Andererseits sind rationale Zahlen, wie 21=0,5 nicht Teil der ganzen Zahlen. Es gilt also: N⊂Z⊂Q.
Doch enthalten die rationalen Zahlen auch wirklich mehr Elemente als die ganzen und die natürlichen Zahlen? Es scheint logisch, doch dies dachten wir auch bei dem Vergleich zwischen ganzen und natürlichen Zahlen. Dort konnten wir mit Hilfe einer Bijektion jedoch zeigen, dass die Mengen tatsächlich gleichmächtig sind. Probieren wir nun also eine Bijektion zwischen rationalen und natürlichen Zahlen auf zu stellen. Ist dies möglich sind die Mengen gegenüber jeglicher Intuition gleichmächtig und enhalten somit genau gleichviele Elemente.
Um eine mögliche Bijektion zu erstellen, betrachten wir einfachheitshalber zunächst nur die positiven rationalen Zahlen Q+ und ordnen sie nach folgendem Schema an:
Wir zählen also alle Brüche durch und sehen, dass auf diese Art und Weise jeder positiven rationalen Zahl eine eindeutige natürliche Zahl zugeordnet wird:
Damit gibt es also eine Bijektion zwischen den positiven rationalen Zahlen und den natürlichen Zahlen. Diese Bijektion können wir nun erweitern und die negativen Brüche sowie die Null hinzufügen:
Wir haben also erfolgreich eine Bijektion zwischen den rationalen und den natürlichen Zahlen aufgestellt. Die Mengen sind also gleichmächtig und haben genau gleichviele Elemente.
Im letzten Schritt betrachten wir die sogenannten reellen ZahlenR. Die reelllen Zahlen stellen eine Erweiterung der rationalen Zahlen um alle irrationalen ZahlenI dar. Irrationale Zahlen sind Zahlen, die sich nicht als Bruch schreiben lassen. Das prominenteste Beispiel für eine irrationale Zahl ist die Kreiszahl Pi (π). Pi lässt sich nicht als Bruch darstellen, da Pi unendlich viele Nachkommastellen hat. Tatsächlich gibt es aber sehr viele irrationale Zahlen. Eine explizite Definition gibt es für die reellen Zahlen nicht, man schreibt: R=Q∪I
Das Zeichen ∪ steht dabei für den mathematischen Ausdruck der Vereinigung. Übersetzt bedeutet dies lediglich, dass die Menge der reellen Zahlen aus allen rationalen Zahlen vereinigt mit allen irrationalen Zahlen besteht. Im Prinzip sind die reellen Zahlen also alle Zahlen die es in der normalen Welt und der Schulmathematik gibt. In der Mathematik gibt es zwar noch weiter Zahlenmengen, doch dies soll nicht Thema dieses Artikels sein.
Die reellen Zahlen sind also die größte Zahlenmenge und es gilt: N⊂Z⊂Q⊂R. Die Frage die sich nun stellt, ist ob die reellen Zahlen trotzdem gleichmächtig mit den natürlichen Zahlen, den ganzen Zahlen und den rationalen Zahlen ist. Um dieser Frage auf den Grund zu gehen suchen wir nach einer Bijektion zwischen den natürlichen Zahlen und den reellen Zahlen. Genau wie bei der Suche nach einer Bijektion zwischen den natürlichen Zahlen und den rationalen Zahlen machen wir es uns jedoch ein bisschen leichter und betrachten zunächst nur eine Teilmenge der reellen Zahlen und versuchen zwischen der Teilmenge und den natürlichen Zahlen eine Bijektion zu erzeugen. Wir schauen uns dazu das Intervall (0,1) an, also alle Zahlen die zwischen 0 und 1 liegen. Diese listen wir nach dem folgendem Schema auf:
Wir ordnen auf diese Weise jeder natürlichen Zahl eine reelle Zahl zwischen 0 und 1 zu. Doch haben wir auch jeder reellen Zahl zwischen 0 und 1 eine eindeutige natürliche Zahl zugeordnet und somit eine Bijektion gefunden, die zeigt, dass die natürlichen Zahlen und die reellen Zahlen gleichmächtig sind? Die Antwort lautet nein! Es wird nämlich immer möglich sein eine reelle Zahl zu finden die zwischen 0 und 1 liegt und nicht in der Zuordnung enthalten ist. Dazu betrachten wir die erste Nachkommastelle der ersten Zahl, die zweite Nachkommastelle der zweiten Zahl und so weiter.
Nun können wir eine eine neue Zahl notieren, die garantiert nicht in der obigen Auflistung zu finden ist, aber trotzdem ein Element der reellen Zahlen zwischen 0 und 1 ist. Dies geht ganz einfach in dem die erste Nachkommastelle der neuen Zahl anders wählen als die erste Nachkommastelle der ersten Zahl in der Liste. Die zweite Nachkommastelle der neuen Zahl wählen wir anders als die zweite Nachkommastelle der zweiten Zahl in der Liste. Das machen wir immer weiter und erhalten auf diese Art und Weise eine Zahl, die nicht in der Liste liegen kann:
Neue Zahl=0,029136…
Wir haben einfach von jeder der rot makierten Nachkommastellen aus der Auflistung 1 subtrahiert und so eine neue Zahl geschaffen. Diese Zahl kann nicht die erste Zahl in der Zuordnung sein, denn die erste Nachkommastelle ist unterschiedlich. Es kann auch nicht die zweite Zahl in der Auflistung sein, denn die zweite Nachkommastelle ist unterschiedlich. Dies kann man beliebig weiter denken. Diese neue Zahl kann nicht in der Zuordnung von natürlichen Zahlen zu reellen Zahlen zwischen 0 und 1 liegen. Trotzdem liegt die Zahl zwischen 0 und 1 und ist eine reelle Zahl. Es muss also mehr Zahlen zwischen 0 und 1 geben als es natürliche Zahlen gibt.
Doch wieviel mehr reelle Zahlen gibt es? Was ist mehr als unendlich? Bei den obigen Rechenregeln haben wir ja gelernt, dass selbst ∞⋅∞=∞ ist. Um diese Frage zu beantworten haben Mathematiker zwei unterschiedliche Unendlichkeitsbegriffe entwickelt. Eine Menge die gleichmächtig mit den natürlichen Zahlen ist, hat abza¨hlbar unendlich viele Elemente. Eine Menge die nicht abzählbar ist, also weder endlich viele noch abzählbar unendlich viele Elemente besitzt, enthält u¨berabza¨hlbar unendlich viele Elemente. Die rationalen, ganzen und natürlichen Zahlen beinhalten also “nur” abzählbar unendlich viele Elemente. Die reellen Zahlen hingegen umfassen überabzählbar unendlich viele Elemente. Es ist nämlich möglich zu zeigen, dass
∣(0,1)∣=∣R∣
gilt.
Wir haben nun die zwei wichtigsten Unendlichkeitsbegriffe kennengelernt, doch wer denkt dies sei alles, liegt gehörig falsch. Die riesige Welt der Unendlichkeit fängt hier gerade erst an! Es gibt in der Mathematik noch weitaus größere Mengen deren Anschauung immer abstrakter wird und bei welchen noch lange nicht alle Eigenschaften erforscht sind.
Fragen und Antworten
Gibt es mehr ganze Zahlen als natürliche Zahlen?
Nein! Es gibt genauso viele natürliche Zahlen wie ganze Zahlen. Man sagt die Mengen sind gleichmächtig.
Gibt es genauso viele rationale Zahlen wie natürliche Zahlen?
Ja! Beide Mengen enthalten genau gleichviele Elemente. Die Mengen sind also gleichmächtig.
Was ist ∞⋅∞?
Es gilt ∞⋅∞=∞
Gibt es genauso viele reelle Zahlen wie natürliche Zahlen?
Nein! Die Menge der natürlichen Zahlen ist abzählbar unendlich. Die Menge der reellen Zahlen hingegen ist überabzählbar unendlich.
Was heißt abzählbar unendlich?
Eine Menge enthält abzählbar unendlich viele Elemente, wenn sie gleichmächtig zu den natürlichen Zahlen ist.
Was heißt überabzählbar?
Eine Menge heißt überabzählbar, wenn sie weder endlich viele, noch abzählbar unendlich viele Elemente enthält.
Gibt es genauso viele Zahlen im Interval (0,1), wie im Interval (0,2)?
Ja! Beide Intervalle enthalten überabzählbar unendlich viele Elemente. Um zu sehen, dass die Menge gleichmächtig sind, betrachte die Bijektion x↦2x.
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